15. Dezember 2020 Lesezeit: ~8 Minuten

Das weiße Gold: Energiewende auf Kosten der Umwelt?

Felix Dorn ist Forscher und Fotograf. Sowohl in seiner fotografischen als auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit konzentriert er sich auf Entwicklungsfragen und, insbesondere, Mensch-Umwelt-Beziehungen im Rahmen der Rohstoffgewinnung. In diesem Zusammenhang hat er unter anderem die sozio-ökologischen Auswirkungen des Lithiumabbaus in Südamerika dokumentiert.

Felix, wie bist Du zum Lithiumabbau als Thema gekommen?

Zwischen Schulzeit und Uni habe ich einige Jahre in Südamerika verbracht. Meine Diplomarbeit habe ich zu den sozialen Auswirkungen des Soja-Anbaus in Argentinien verfasst. Anschließend wollte ich gern eine Doktorarbeit schreiben, war mir aber erst nicht ganz sicher, worüber.

Der Lithium-Bergbau in den Anden wurde zu der Zeit immer mehr zum Thema, war aber noch nicht besonders gut erforscht. Auch bin ich in Braunschweig großgeworden, die Region ist natürlich absolutes VW-Land. Für mich hat Lithium einfach sehr beispielhaft eine deutliche Verbindung zwischen globalem Weltmarkt (und unserem Konsumverhalten) und einer spannenden Region in den Hochanden dargestellt.

In einer Lithiummine, Salar de Atacama (Chile). Die Salzlösung wird aus der Salzwüste extrahiert. Der starken Sonneneinstrahlung ausgesetzt, verdunstet das Wasser. Die gelbe Farbe dieses Wasserbeckens ist auf seine hohe Lithiumkonzentration zurückzuführen.

Der Abbau von Lithiumkarbonat gefährdet zum Beispiel die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung Boliviens, Chiles und Argentiniens – kannst Du uns das etwas genauer erklären?

Darüber könnte ich wohl sehr lange sprechen, denn die lokalen Situationen sind sehr komplex. Von außen betrachtet ist der größte Streitpunkt der enorme Wasserverbrauch. Das Thema Wasser wird allerdings auch genutzt, um die Aufmerksamkeit der urbanen Bevölkerung zu erlangen. Tatsächlich ist der Konflikt viel tiefgreifender.

Die indigene Bevölkerung hat in vielen Ländern Südamerikas keine schöne Geschichte hinter sich. Genozide, Sklaverei und ausgeprägter Rassismus wurden etwa in Argentinien nur sehr schleppend aufgearbeitet. Mit der Ratifizierung des Übereinkommens 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO 169) wurden weitreichende indigene Rechte implementiert, die beispielsweise den Landbesitz der indigenen Bevölkerung anerkennen.

Ebenfalls zentral sind grundlegend divergierende Vorstellungen von „Entwicklung“. Wir sollten den Menschen vor Ort die Möglichkeit geben, ihren Weg selbst zu definieren. Das widerspricht allerdings der wachstumsgetriebenen Expansionslogik unseres Wirtschaftssystems. Bei den nun eskalierenden Konflikten geht es um diese Themen.

Sehr wesentlich sind neben dem Wasserverbrauch die Mit- bzw. Selbstbestimmung und die Einhaltung des indigenen Rechts (im Sinne demokratischer Partizipation, des Minderheitenschutzes und der Bestimmung ihres eigenen Lebensprojekts). Das „Territorium“ ist dabei zu einem „Kampfbegriff“ geworden, um Partizipation und Rechte einzufordern.

Deutschland und Österreich haben das Übereinkommen 169 übrigens nie ratifiziert. Für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen entlang ihrer Wertschöpfungskette wäre das sehr relevant.

Eine Reihe von Trucks vor einem Industriegelände

Lithium wird unter anderem gebraucht, um Batterien für Elektroautos herzustellen. In Zeiten der Energiewende besteht also großer Bedarf. Kann man schon absehen, wie sich das in den kommenden Jahren auf die Herkunftsländer auswirken wird?

Lithium ist an sich kein besonders seltener oder teurer Rohstoff. Natürlich wird im Moment überall nach Lithium gesucht, was in vielen Ländern zu Spekulationen führt. Lithium wird nicht an der Börse gehandelt, die Bergbau-Firmen allerdings schon. Diese wechseln demnach sehr häufig die Besitzer*innen.

In Argentinien gibt es bereits heute über 60 Explorationsprojekte. Wenn auch nur ein Viertel davon in die kommerzielle Extraktion einsteigt, ist das eine ganze Menge. Auch in Portugal oder Spanien gibt es erste Explorationsprojekte und dort formiert sich ebenfalls lokaler Widerstand.

Welche Bedeutung hat das für die Umwelt im Allgemeinen?

Ich bin kein Hydrogeologe, ich fokussiere mich eher auf Machtverhältnisse in globalen Produktionsnetzwerken, sozial-ökologische Konflikte und Entwicklungstheorien. Einige Kolleginnen aus Südamerika berichten von dramatischem Wasserverbrauch. Andere spielen die Zahlen eher herunter und betonen, es handle sich dabei zum Großteil um Salzwasser (Sole).

Zentral ist: Es gibt keine unabhängigen Untersuchungen der langfristigen ökologischen Folgen und die Informationsasymmetrien zwischen Firmen und Gemeinschaften sind enorm. Das unterstreicht die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Bergbaufirmen, Staat und indigenen Gemeinschaften.

Hinter Konflikten wie in den Salinas Grandes verbergen sich meist auch eine ungleiche Verteilung der ökonomischen Nutzen und der ökologischen „Kosten“ sowie unterschiedliche Auffassungen von Natur. Wie wir die Natur betrachten, ist immer auch gesellschaftlich konstruiert. Die Dichotomie zwischen Mensch und Natur ist dabei sehr charakteristisch für den Kapitalismus. In den Gemeinschaften der Anden wird die Natur hingegen als etwas Lebendiges verstanden und mit vielen Ritualen geehrt.

Person füllt Flüssigkeit in einen Behälter vor einem WindradHäuser von oben

Als Fotograf liegt Dein Fokus auf Storytelling und Dokumentarfotografie. Deine Fotos, zum Beispiel von den Wasserbecken, sind sehr eindrucksvoll. Wenn Du fotografierst, überwiegt in solchen Momenten auch mal die Ästhetik über die Botschaft?

Auf jeden Fall! Ich versuche immer, ein schönes Bild zu machen. Gigantische Wasserbecken in der Wüste, eine riesige Kupfermine in Chile oder endlose Soja-Monokulturen, diese Projekte sind oft faszinierend und pervers zugleich.

Abstrakte Fotografien im Spannungsfeld von Ästhetik und Botschaft finde ich zum Beispiel sehr spannend. Da haben sich mit der Drohnentechnologie in den letzten Jahren auch viele neue Möglichkeiten ergeben. Einzelne Fotos sind aber ja meist nur Puzzleteile einer Geschichte. In diesen geht es mir schon darum, wie wir als Menschen mit der Natur interagieren. Wenn sich die Betrachter*innen ein Bild oder eine Serie anschließend länger anschauen, kommt das letztendlich auch der Botschaft zugute.

Wasserbecken in einer kargen Landschaft

Wasserverdunstungsbecken in der Wüste. Lithiumgewinnung am Salar de Olaroz-Cauchari, etwa 4.000 m über dem Meeresspiegel.

Wie vertragen sich generell der Fotograf und der Forscher bei Deinen Projekten? Hat einer eher die Oberhand als der andere?

Im Kern ergänzen sich Fotografie und Wissenschaft in vielen Punkten. In beiden Fällen treibt mich die Neugier an. Beides erlaubt mir, Orte und Menschen kennenzulernen, die ich sonst nicht kennenlernen würde.

Auch sehe ich die Fotografie heute als eine gute Erweiterung für die Forschung: So konnte ich meine wissenschaftlichen Ergebnisse beispielsweise auch in Magazinen und Zeitungen präsentieren und mich dadurch leichter an gesellschaftlichen Debatten beteiligen. Das war mir allerdings lange Zeit nicht ganz so klar, wie es jetzt vielleicht klingen mag. Nach und nach ist beides immer mehr zusammengewachsen. Während des Doktorats war die Fotografie neben Stipendien auch einfach ein kleiner Nebenverdienst.

Salzbauer bei der Arbeit

Ariel arbeitet als Salz-Bauer in den Salinas Grandes, einer Salzwüste hoch in den argentinischen Anden. Er vergleich das Salz mit einem Baum: Da das Salz immer wieder kristallisiert und seine Becken füllt, kann er es jedes Jahr erneut ernten. Das Salz ernährt somit seine Familie und sein Dorf.

Erlebst Du die Menschen, denen Du bei Deiner Arbeit begegnest, anders in Deinen Rollen als Fotograf und als Wissenschaftler?

Ich denke nicht. In meiner Forschung verwende ich vor allem ethnografische und qualitative Methoden. Ob nun beim Fotografieren oder beim Fragen stellen, in beiden Fällen bin ich auf das Vertrauen der Menschen angewiesen – ich verbringe also meist sehr viel Zeit an einem Ort, im Idealfall viele Wochen oder Monate. Ich wäre deshalb wohl auch kein besonders guter Fotojournalist.

Frau an einem Steinhaus

Bäuerin des Atacama-Volkes. In Susques, Nordwestargentinien.

Zum Abschluss eine etwas philosophische Frage: Welche Rolle spielt Deines Erachtens die Fotografie für positiven Wandel in der Welt?

Das ist eine schöne, aber auch eine schwierige Frage. Unsere Gesellschaft ist heute sehr visuell orientiert: Jeder Mensch ist heute auch Fotograf*in. Über die sozialen Medien werden wir täglich mit Tausenden von Fotos überflutet. Das sehe ich als Gefahr und als Chance zugleich.

Ich glaube an die Möglichkeit, wichtige und komplexe Inhalte über die Fotografie zu vermitteln. Andererseits stumpfen wir durch die tägliche Bilderflut natürlich auch ab. Für die Betrachter*innen existiert ein Foto auf Instagram nur für wenige Sekunden, wenn überhaupt. Das gedruckte Foto gewinnt für mich deshalb mehr und mehr an Wert. Sei es in Galerien, in klassischen Bildbänden oder als Fotostrecke in Magazinen.

Vielen Dank für das Gespräch, Felix!

Feuer gefangen? Mehr über Felix Dorn erfahrt Ihr auf seiner Webseite. Seine Fotos gibt es bei Photocircle als hochwertige Wandbilder zu kaufen.

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